Hm. Es ist ja nicht so, dass mir das Thema fremd wäre; als "alte Frauenrechtlerin" und ehemalige Diversity Managerin einer Bank ist das Thema bei mir eigentlich nie weit weg. Aber wenn ich mir nun überlege, was wir bereits erreicht haben, und was (noch) nicht, wird's gleich schon etwas komplizierter...
Bei uns zuhause hatte der Vater eigentlich (meistens) Recht; das war aber auch ziemlich einfach, weil wir anderen seinen Zorn fürchteten, und uns als Kinder nicht wirklich oft zu Wort meldeten. Dies war ja schliesslich auch nicht erwünscht, jedenfalls nicht während der Familienmahlzeiten...
Leider hatte mein Vater mit meiner Mutter wohl die "falsche" Frau erwischt, nämlich eine, die sich sehr wohl zu Wort meldete, und dabei auch immer eine eigene Meinung vertrat, die sich oft nicht mit der seinen deckte. Und indem wir diesen Austausch aufmerksam beobachteten über die Jahre, lernten wir, dass auch wir es ab und zu versuchen könnten, uns zu Wort zu melden und eine eigene Meinung zu haben. Da wir drei Mädchen waren, wurde es dann während unserer Pubertät für meinen Vater immer schwieriger bis unmöglich, immer Recht zu haben. Die Überzeugungen meiner Schwestern und mir - wir wuchsen schliesslich in den wilden 70-er Jahren auf - waren überdies meist auch ziemlich politisch angehaucht, um nicht zu sagen damals auch ziemlich links gerichtet, wie es sich gehörte. Die Konflikte am Familientisch waren also vorprogrammiert.
Eigentlich gewöhnte sich mein Vater ganz gut an diese neue Situation, auch wenn er sich naturgemäss schwertat mit all diesen neuen Ideen und Frauen, die sich ihm nicht einfach unterordneten. Ich musste aber schon früh lernen, dass man idealerweise nur mit guter Debattierkunst und stichhaltigen Argumenten in Diskussionen unterwegs war. Die gute Schulbildung, die ich in Anspruch nehmen durfte, half mir sehr, diese Kunst aufzubauen und immer wieder zu vertiefen. Dafür bin ich heute noch dankbar. Immer noch gibt es weltweit viel zu viele Frauen, die schlechte oder gar keine Schulbildung erhalten, und so praktisch chancenlos den Wünschen und Vorstellungen der sie beherrschenden Männer ausgeliefert sind. Es ist kein Geheimnis, dass es ohne eine gute Schulbildung für Frauen nie Gleichberechtigung geben kann.
Als das Frauenstimmrecht schweizweit (wir wissen alle, wo es damit auch danach noch nicht klappte) im Februar 2971 eingeführt wurde, war ich erst 9, und kriegte das nicht direkt mit. Ausser natürlich, dass meine Mutter stolz erhobenen Hauptes mit dem Stimmcouvert in der Hand am nächsten Abstimmungssonntag meinen Vater zum Stimmlokal begleitete. Ich kann mir gut vorstellen, wie euphorisch sie sich damals fühlte. Endlich! Demokratisch gesehen war dies natürlich ein sehr wichtiger Schritt. Wie sollte man denn sonst auch mitgestalten können, wenn einem dieses wichtigste Recht verwehrt bleibt?
Wir alle aber wissen, dass mit diesem Staatsakt noch sehr wenig erreicht war: Noch immer hatten die Frauen wenig Möglichkeiten, ausserhalb des Hauses einer erfüllenden Arbeit nachzugehen, es gab keine Krippen, Schülerhorte oder Teilzeitstellen, und die höhere Schulbildung für Frauen war in der Schweiz immer noch in vielen Familien verpönt. So auch bei uns. Mein Vater glaubte zwar glücklicherweise schon, dass eine kaufmännische Lehre (er war selbst Kaufmann) zum Erfolg führen würde. Alles aber, was mittel- und langfristig noch teurer werden könnte (Mittelschule und Studium), fand er ziemlich unnötig. "Ihr werdet ja dann heiraten und Kinder kriegen", und diese Sachen eurem Ehemann überlassen", war jeweils seine Antwort, wenn ich mich diesem Schicksal nicht beugen wollte. Genau diese Idee aber, nämlich quasi stante pede von der einen zur nächsten Abhängigkeit zu geraten, war es natürlich, was uns Hippie-Generation beim blossen Gedanken daran erschauern liess; wir alle wollten unser eigenes Geld verdienen, und nie mehr jemand anderem die volle Verantwortung für unser eigenes Leben übertragen. Kein Wunder übrigens, merke ich grad, dass wir alle unseren Mädchennamen nach der Hochzeit behielten...
Ich hatte das Glück, nach dem Bachelorstudium eine äusserst spannende Karriere machen zu dürfen, es herrschte Hochkonjunktur, und ich wurde von einer spannenden Stelle zur nächsten "gespült"; Mitkonkurrentinnen gab es nicht sehr viele, mein Selbstvertrauen und einigermassen anständiges Auftreten öffneten mir viele Türen. Die Welt schien mir offen zu stehen, ich spürte und sah keine "gläserne" Decke.
Erst als ich Mutter wurde, merkte ich sehr schnell, dass die Dinge um ein Vielfaches komplizierter wurden. Wollte ich weiter 100% arbeiten? In Zürich existierten bereits einige Krippen, auch mein Arbeitgeber betrieb eine. Aber immer noch war in vielen Köpfen der Gedanke fest verwurzelt, dass man als Frau doch sein Kind nicht einfach "in der Krippe abgeben" dürfe. Und wie stand es mit mir? Ich entschloss, mein Pensum um einen Tag pro Woche zu reduzieren (ja, mein Arbeitgeber ermöglichte mir das!), und muss gestehen, dass ich meinem Sohn gegenüber selten ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich ihn gegen 6 oder halb 7 Uhr von der Krippe abholte. Vermutlich spürte ich bereits, dass ich ihm eine bessere Mutter sein würde, wenn ich meinen Idealen und meinen Werthaltungen treu bleiben und einen spannenden Job behalten würde.
Schwierig waren diese Jahre, rückblickend gesehen, aber allemal, und in dieser Hinsicht hat sich wohl auch immer noch nicht allzu viel geändert; immer wieder galt und gilt es, flexibel zu bleiben, Kompromisse zu suchen, sich die Zeit optimal einzuteilen, und auf vieles für sich persönlich zu verzichten. Frau benötigt einen Partner an ihrer Seite, der dieses Leben mitträgt, der insbesondere im Haushalt mithilft, sich für die Kinder genügend Zeit nehmen will und kann, damit man nicht faktisch dennoch alleinerziehend bleibt, wie das bei unserer Mutter der Fall war. Für mich machten, insbesondere dann bei meiner Tochter, die erst 9 Jahre später zur Welt kam, die Umgebung und die Nachbarinnen den grossen Unterschied aus: In einem Quartier zu leben, wo sich die Frauen (ja, es waren immer noch nur Frauen, die sich den Kids annahmen) gegenseitig aushalfen, wo die Kids mehrere Türen hatten, an denen sie in einem Notfall klingeln konnten, machte meinen Lebensentwurf plötzlich massiv einfacher. Manchmal weiss ich nicht mehr, wie ich meine verschiedenen Jobs ohne all diese wunderbaren Frauen geschafft hätte!
Und wie geht es weiter, nun, in diesem dritten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends? Wird die Pandemie dazu führen, dass unser Erreichtes wieder verwässert wird, weil es vermutlich zuerst die Teilzeitstellen sein werden, die wegfallen werden? Wird unsere Gesellschaft sich wieder konservativeren Werten zuwenden, in diesen Zeiten, die immer unberechenbarer zu werden scheinen? Wenn ich an all die populistischen Regierungen denke, die in Europa und dem Rest der Welt plötzlich überall an der Macht sind, müsste ich das beinahe befürchten... Ungarn und Polen, die Abtreibungen nicht mehr erlauben und so den Frauen das Recht auf ihren eigenen Körper absprechen wollen, sind nur zwei davon. Andererseits habe ich aber auch Hoffnung auf das, was wir alle im letzten halben Jahrhundert erreicht haben, und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dies wieder aufgeben würden, schon gar nicht kampflos. Um die Herausforderungen, die auf uns alle warten, mit Pandemien, der Klimakrise, und einer immer komplexer werdenden Welt zu meistern und gescheit anzupacken, braucht es uns alle: Männer und Frauen, die gemeinsam an diesen Problemen arbeiten, solidarisch sind, sich gegenseitig aushelfen, und ihr ganzes Potenzial nutzen, um zu guten Lösungen zu kommen. Möglichst ohne den ganzen Gender-Hickhack, der meist eigentlich nur noch nervt und unnötige Ressourcen bindet. Lasst uns das versuchen, Schwestern, und so auf den letzten 50 Jahren aufbauen, dass wir zu diesen Lösungen beitragen. Denn dann hätte sich auch die lange Warterei auf Gleichberechtigung (unter anderem bei den Löhnen) wenigstens etwas gelohnt...
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