Quarantäneblog 2 – Sweet Sixteen
Heute der Geburtstagsblog für die Tochter aus der Quarantäne-Bubble (Kennt ihr «Under the Dome…? Verstehe das heute viel besser als damals…)
An diesen 16. Geburtstag wird sie sich noch erinnern, wenn sie dereinst im Kreis ihrer Liebsten ihren 80sten (hoffentlich!) Geburtstag feiert.
Aber eigentlich schauerlich: Was könnte es Schlimmeres geben, als diesen prägenden Tag alleine zuhause mit den von der Coronakrise geplagten, leicht (oder schon ziemlich) angegrauten Eltern zu verbringen? Nicht einmal der Bruder, der als Cabin Crew-Mitglied der SWISS erst grad von einem Repatriierungsflug aus Sao Paolo zurückgekehrt ist, wird zugegen sein – der hat sich nämlich, die Anordnungen seines Arbeitgebers befolgend, selbst für mindestens eine Woche ausser Gefecht gesetzt und kann höchstens per Face Time zugeschaltet werden. Old News – sind wir uns ja bereits gewohnt. Wie schnell wir uns doch an neue Gegebenheiten gewöhnen, die uns noch vor einem Monat komplett unmöglich erschienen!
Der Morgen beginnt ganz normal. Aufstehen. (Die Sonne scheint. Schöner Tag. Ach nein, CORONA!). Duschen. Schminken (Ach nein, lohnt sich nicht wirklich, die Frisur entspricht mittlerweile sowieso bereits der heutigen Trendfarbe Graublond). Kaffee trinken (Espresso Double Shot, wenn das bloss nicht virusbeschleunigend wirkt!). Also alles wie gewohnt. Man geht sich aus dem Weg, auch das nicht aussergewöhnlich, morgens um 6 oder halb 7. Dann gehen wir zur Arbeit, heute sehr ökologisch zu Fuss (mit Ausnahme des Familienvaters, der sich wie gewohnt in sein Auto setzt und zur Arbeit im Familienbetrieb fährt, wo aber ausser ihm gähnende Leere herrscht). Heutzutage dauert sein Arbeitsweg nicht mal halb so lange wie sonst, auch das deshalb ökologischer…
Ich disloziere von der Küche ins Büro, immerhin eine halbe Treppenhöhe Morgensport. Es gilt, die unzähligen Mails und Social Media Posts des Vortags zu beantworten, die aufgrund eines Kassensturz-Beitrags über die Not von Kleinunternehmen wie dem unseren eingegangen sind. Dann das Übliche: Mails, Telefongespräche, Medienkonferenz des Bundesrates (üblich???), Social Media Posts, Entscheide für die Gemeindeverwaltung, die heilpädagogische Schule, das Pflegeheim. Überall sind zum Glück Menschen am Werk, die ihren Job verstehen, und äusserst besonnen, empathisch und ruhig ihre Arbeit erledigen. Trotzdem lastet die Verantwortung zuweilen schwer, auch heute. Was wird alles noch geschehen? Und auch privat/geschäftlich: was wird mit unserer Familie passieren? Werden wir unseren finanziellen Verpflichtungen überhaupt noch nachkommen können? Kann die Tochter ihr Ein und Alles, das Pferd, das sie seit Jahren wettkampfmässig reitet, noch halten? Wie gerne hätten wir ihr einen etwas positiveren 16. Geburtstag ermöglicht! Reminiszenzen aus einer anderen Welt.
Derweil schläft das Subjekt meiner Betrachtungen noch: Die Schule beginnt erst um 8. Wir sind ja der Meinung, man müsste in diesem Fall eine Stunde vorher aufstehen, um frisch geduscht und frisiert vor dem PC zu sitzen. Sie aber sagt, dass sei irrelevant: Man sehe sich sowieso nicht gut per Bildschirm, die einzelnen Fenster sind klein. Also steht man 10 Minuten vorher auf. Hätte ich bloss mehr erzieherische Disziplin walten lassen über die vergangenen Jahre, dann würde ich das durchziehen mit dieser Regel. Leider landet sie wie derzeit die meisten auf dem Scheiterhaufen der unvollendeten Hoffnungen.
Die Tochter beginnt also mit der Schule, an diesem heiligen Tag der Sweet Sixteen. Wie wird sie sich dereinst an diesen historischen Tag erinnern? Die Zeit, in der wir keine sozialen Kontakte hatten? Oder die Zeit, in der wir die sozialen Kontakte nur virtuell hatten, und deshalb danach die richtige Welt umso mehr schätzten? In ein paar Monaten werden wir es erfahren – hoffentlich!
Ab Mittag ist schulfrei. Jetzt wird gebacken: Cinnamon Rolls. Aber Stopp: Eine Freundin hat bereits am Vorabend einen Kuchen im Milchkasten deponiert. Unglaublich, diese Freundschaftsbeweise. Wussten wir überhaupt, wozu wir alle fähig sind? Manchmal keimt die Hoffnung in mir auf, dass wir diese neu gewonnenen Qualitäten nach der Krise nicht mehr verlieren mögen.
Nachtrag: Auch die Cinnamon Rolls müssen wir nicht selbst backen, die werden nämlich von der anderen Nachbarin frei Haus bereits angeliefert. Wie ich unsere kleine Strassen-WG liebe! Ihr seid einfach die Besten...
Danach bereiten wir den Pizzagrill für den Abend vor: Teig kneten, heute von Hand, das dauert etwas länger, dann verteilen wir die spärlichen Geschenkspäckli auf dem Tisch: Heute sind es gerade mal 2, statt der üblichen 8-10. Wir fragen uns: war denn das alles nötig, früher? Die Tochter jedenfalls erscheint dankbar für die wenigen, die es hat. Und nach dem Pizzaessen (früher war’s Fondue Chinoise), den Cinnamon Rolls (der Bruder wurde mittlerweile auch noch mit Rolls und Kuchen beliefert, brav und vorschriftsmässig mit Abstand), lassen wir sie ihre Freunde treffen. Virtuell, selbstverständlich. Wir dürfen auch kurz winken: einige davon kennen wir, andere sind neu dazugekommen in den letzten Wochen (den letzten Wochen? Wie das?) Fragen tun wir trotzdem nur wenig, denn es stimmt ja eigentlich: Wie hätten wir es gehasst, wenn unsere Eltern damals so viel über uns gewusst hätten. Heute sprechen wir in der Familie über viel mehr. Über Ängste, Sorgen, Wünsche, Emotionen. All das wäre in unserer Jugend am Esstisch schlicht undenkbar gewesen. Welch schöne neue Welt, dass wir das heute dürfen und können. Und welch schöne neue Welt, die uns vielleicht noch erwartet, wenn wir wieder zu unseren ursprünglichen Werten, der Solidarität, der Besonnenheit, der Menschlichkeit, finden. Die Hoffnung bleibt bestehen, dass wir als Gesellschaft gestärkt aus dieser Krise herausgehen mögen.
Für die Tochter bleibt nach diesem höchst ausserordentlichen Sweet Sixteen Tag dasselbe: Hoffnung. Darauf, dass sie den 17. Geburtstag auf andere Weise wird verbringen können. Darauf, dass sie aus dieser Krise die positiven Dinge herausnehmen wird. Darauf, dass sie in ihrem weiteren Leben keine noch grösseren Krisen wird erleben müssen. Darauf, dass der Bruder dann immer noch jobmässig über den Lüften schwebt, und so seinen Traum und seine Karriere weiterhin leben kann. Und darauf, dass wir dann immer noch hier sind. Und eine Lebensgrundlage haben. Und vielleicht, vielleicht, zwar nicht mehr in unser Sehnsuchtsland Australien reisen werden (Ach, aber vielleicht doch nochmal!), aber wenigstens nach Italien? Dafür würden wir schon so viel geben. Italien fungierte schon lange nicht mehr so intensiv und hoffnungsvoll in unseren Träumen.
Wir lieben euch, unsere Kinder. Viel wissen wir nicht mehr über diese neue Welt, heute, wir können unserer Aufgabe in diesen neuen Corona-Zeiten nicht mehr wirklich gerecht werden, sind erzieherisch, als Väter, Mütter, Freunde und Geschäftsleute oft überfordert. Wir müssten euch Zukunftsperspektiven bieten, Zuversicht, Hoffnung, und Sicherheit. Das alles fällt im Moment eher schwer. Die Welt, aber, sie wird sich weiterdrehen. Was danach noch bleibt, wissen wir alle nicht. Die Liebe aber, für euch, sie wird bleiben. Dessen könnt ihr euch gewiss sein. Und unser unbändiger Wille, diese Krise für und mit euch durchzustehen. Emotional. Vernünftig. Besonnen. Stark. Und hoffnungsvoll.
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