Quarantäneblog – 1

Eben noch gedacht, wie schnell doch die Zeit verging seit meinem letzten Blogeintrag. Und schon ziehen sich die Stunden und Tage kaugummimässig in die Länge, unser Land sitzt zusammen mit vielen anderen in der Quarantäne, bangend und hoffend, dass wir daraus bald schon wieder erlöst werden.

 

Ich gestehe: Das Nichts (oder Wenig-) Tun ist keine meiner Stärken. Wie die meisten von uns renne ich lieber von Termin zu Termin, diskutiere hier und dort über Schwierigeres und auch mal Erfreuliches, treffe Entscheidungen und plane für zukünftige Herausforderungen. Derzeit alles eher schwierig. Wer weiss schon, was morgen sein wird? Welche Konzepte und Strategien lohnen sich überhaupt noch, ausgearbeitet zu werden? Und wie wird das Coronavirus uns und die Welt, in der wir leben, für immer verändern?

 

An den meisten meiner vier Arbeitstellen herrscht, wenn nicht Stillstand, dann doch deutlich reduzierte Tätigkeit, oder wenigstens so, dass mein eigenes Involvement in Folge von Quarantänte und Abstandsregeln weniger gross sein kann, da ich mit Ausnahme unseres eigenen Betriebs nirgends auf rein operativer Ebene tätig bin. Die Gemeindeverwaltung arbeitet natürlich, sogar mit hohem Tempo, sehr grossem operativen Aufwand (unzählige Anfragen, verzweifelte, verunsicherte Menschen in der Gemeinde, etc., etc.), aber auch von dort halte ich mich möglichst fern, um unsere Mitarbeitenden nicht unnötig zu gefährden. Ausserdem vertraue ich meinem Team voll und ganz: sie werden ihr Bestes tun, um, so gut es in diesen schwierigen Zeiten geht, möglichst allen Hilfesuchenden weiterzuhelfen. Gedanklich beschäftigen mich die Sorgen aber selbstverständlich: Wie wird das Sozialwesen aus dieser Krise herausgehen? Mit wie vielen Schicksalen, Existenzfragen und Elend werden es die Sozialwerke als Folge der Krise zu tun haben? Niemand von uns kennt derzeit diese Antwort, aber die Vermutung, dass viele Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren werden, liegt leider nahe.

 

An der heilpädagogischen Schule in Horgen wird natürlich auch weitergearbeitet, Schulleitung und Verwaltung arbeiten teils im Schulhaus, teils von zu Hause aus, und weil wir hier nur ein kleines Team sind, können wir mit dem nötigen Sicherheitsabstand auch noch unsere Geschäftsleitungssitzungen abhalten. Ich bin froh, ab und zu hierher kommen zu können; natürlich gibt's auch hier viele Probleme zu lösen und Schwierigkeiten zu überwinden. Sie verbleiben aber zum Glück meist über einer existenziellen Schwelle, auch wenn wir es natürlich mit Schülerinnen und Schülern zu tun haben, die nur mit grössten Schwierigkeiten vom Fernunterricht profitieren können. Diese Fragen beschäftigen uns derzeit: Was macht die Krise mit unseren Schülerinnen und Schülern? Werden sie von den fehlenden Sozialkontakten vielleicht noch mehr betroffen als andere? Wie gehen die Familien damit um, ihre Kinder mit geistiger Beeinträchtigung den ganzen Tag bei sich zuhause zu haben? Auch hier kann ich mich glücklich schätzen, mit einem hoch professionellen und empathischen Team zusammen zu arbeiten.

 

Überhaupt: Alle, die wie ich im sozialen Bereich tätig sind, dürfte die Frage umtreiben, was in  der Quarantänesituation mit schwierigen Situationen im familiären Bereich geschieht. Hier dürfte die KESB stark gefordert sein, ihnen bereits bekannte Situationen über diese Zeit genau zu beobachten. Aber wie sollen sie dieser Verantwortung überhaupt gerecht werden? Und was geschieht dort, wo solche Situationen noch nicht einmal bekannt sind? Fragen und Sorgen, die uns mit Sicherheit alle noch lange weiter beschäftigen werden.

 

Ja, und dann das Abegg Huus. Ich gehe zwar noch rein, um mehrmals pro Woche einen kurzen Infoabtausch mit Kathrin Rauchenstein, der Geschäftsleiterin, zu haben. Manchmal tun wir dies auch im Garten, die Abstands- und Hygieneregeln halten wir dabei immer ein, und in die oberen Stockwerke gehe ich nicht mehr, um unsere Bewohnerinnen und Bewohner sowie die Mitarbeitenden zu schützen. Sie leisten auch sonst schon ausserordentliches, und könnten in den nächsten Wochen noch stärker gefordert werden. Wäre ich religiös, würde ich wohl jeden Abend beten, dass wir keinen Coronafall im Haus haben werden. Auf meine Weise tue ich das halt trotzdem. Während ich dies schreibe, merke ich einmal mehr, wie dankbar ich sein kann, dass ich auch hier von Menschen umgeben bin, die ihr Bestes geben, empathisch, motiviert und besonnen ihren Job ausüben, und mir zudem, wie an meinen anderen Arbeitsstellen, sehr stark ans Herz gewachsen sind. Hm – hat es nun die Krise gebraucht, damit mir dieser Umstand erst so richtig bewusst wurde...?

 

Tja, die Krise – in unserem eigenen Familienbetrieb, der Weinhandlung, hat es uns mit voller Wucht getroffen. Da der Umsatz hauptsächlich mit Gastro- und Zwischenhandelsbetrieben stammt, brach er um mehr als 90% ein nach der Schliessung der Restaurants. Viele Restaurantbesitzer und Zwischenhändler sind langjährige, gute Freunde. Für sie alle bangen wir nun, und natürlich auf um unsere eigene Existenz. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gab's heute vom Finanzdepartement: Wir sollen Kredite erhalten, um die Liquidität sicherzustellen. Die  nächste Sorge wird dann allerdings sein, diese Kredite wieder zurückzubezahlen... Die meisten unserer Waren sind vorfinanziert, viel Überschuss bleibt am Ende des Monats und Jahres nicht, die Margen sind immer enger und die Konkurrenz überwältigend. Egal: Hoffnung muss sein. Wie wir allerdings unsere Vermieterin, die Immobilienbewirtschaftungsfirma eines grossen deutschen Financiers, dazu bewegen sollen, auf Teile des Mietzinses zu verzichten, ist mir derzeit noch schleierhaft. Bis anhin gibt's von dieser Seite nur sehr wenig Anzeichen von Entgegenkommen. Bleibt abzuwarten, ob die Politik hier auch lenkend eingreifen kann/wird, oder ob man das voll und ganz der Privatwirtschaft überlässt. Falls dem so ist, dürfte diese Tatsache dann trotzdem viele von uns schlussendlich den Kopf kosten, wenn auch mit etwas Verspätung.

 

Die Kassensturz-Reportage von gestern Abend hat jedenfalls unendlich viele Sympathie- und Solidaritätsbekundungen erzeugt, für die wir unendlich dankbar sind; das ist wirklich gelebte Solidarität! Unsere Emotionen sind kaum in Schach zuhalten derzeit, die ganze Familie befindet sich auf einer Achterbahnfahrt der Gefühle. Mehr darüber aber dann aus der nächsten Blogantäne.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0