Zeitweise kann man das Wort schon beinahe nicht mehr hören: Digitalisierung. Vor allem die Skeptiker unter uns – und von denen gibt es einige – mahnen immer wieder, dass sich nicht alles ganz so rasant verändern wird wie von den Experten prognostiziert. Ich glaube das nicht, vielmehr denke ich, dass viele von uns von den Entwicklungen der nächsten Jahre in einigen Bereichen auf dem falschen Fuss überrascht werden könnten. Deshalb ist es mit Sicherheit besser, jetzt schon vorzusorgen und Strategien zu entwickeln für die wichtigsten Anliegen und Forderungen, sonst dürften wir über die nächsten Jahre noch einige schwierige Situationen antreffen und Fehlinvestitionen auf Gemeindeebene wären vorprogrammiert.
Papstwahl 2005
Papstwahl 2013
Zwischen den beiden Fotos liegen lediglich 8 Jahre... Wie wird unsere Welt wohl in 8 Jahren aussehen? Eine kurze Tour d'Horizon...
Der Alters- und Gesundheitsbereich ist wohl im Zusammenhang mit dem "Internet of things" einer der sich am rasantesten verändernden Bereiche: Experten gehen davon aus, dass bereits in 5 Jahren in den industrialisierten Nationen bis zur Hälfte der Menschen ein kontinuierliches Überwachungsgerät zur Gesundheit/Fitness am Arm tragen werden, das die Daten in real time an die entsprechenden Gesundheitsversorger im stationären oder ambulanten Bereich übermittelt. Unsere Wohnungen werden mit intelligenten Assistenten und Überwachungssystemen ausgestattet werden können und Patientendaten teilweise direkt von den intelligenten Geräten in die Patientendossiers fliessen. Im Abegg Huus stehen wir erst am Anfang der Digitalisierung; zum Glück helfen uns unser Neubauprojekt und innovative interne und externe Köpfe dabei, diesen Sprung ins moderne Zeitalter hoffentlich zu schaffen. Alle Gesundheitsinstitutionen im stationären und ambulanten Bereich werden aber durch diese rasanten Veränderungen in den nächsten Jahren stark gefordert sein: Parallel zu ihnen kommen nämlich immer wieder auch neue Vorgaben des Gesetzgebers sowie grosse Bedenken, was die Datensicherheit und -Transparenz anbelangt.
Auch in anderen Bereichen wird die Robotik viele menschliche Tätigkeiten ersetzen: Renommierte Digitalisierungsexperten prognostizieren, dass bis zum Jahr 2030 weltweit 800 Mio. Jobs der Digitalisierung zum Opfer fallen werden. Eine schier undenkbar grosse Zahl. Ich würde meinen Kindern deshalb heute kaum mehr raten, zum Beispiel Tram- oder Buschauffeur zu lernen – obwohl das mit Sicherheit ein äusserst spannender und anspruchsvoller Job ist. Was aber bedeuten diese Veränderungen für unsere Sozialsysteme? Wie wird unsere Gesellschaft mit den vielen zusätzlichen Stellensuchenden umgehen? Was geschieht mit Menschen, die aufgrund von Lernschwächen oder anderen Beeinträchtigungen heute Tätigkeiten ausführen, die dereinst aufgrund ihrer repetitiven Prozesse auch von Robotern ausgeführt werden können? Wird unser Sozialsystem sie auffangen können?
Im Bereich der Produktionsstrukturen, der Logistik und des Strassenverkehrs gilt es unter anderem, sich über die nächsten Jahre mit den Möglichkeiten des Digitaldruckes und der 3D-Technologien auseinanderzusetzen: Diese Technologien werden die Art und Weise, wie wir produzieren und arbeiten, grundlegend verändern. Wir müssen evaluieren, ob sie zum Beispiel gewinnbringend im Strassenverkehr, im Hoch- und Tiefbauwesen oder auch in den gemeindeeigenen Liegenschaften eingesetzt werden können. Heute schon setzen viele Gemeinden unter anderem im Bauwesen auf 3D-Strassenbilder. Der Vorteil von «Google Street View für Profis», wie iNovitas-Geschäftsführer Christian Meier sein Produkt nennt: "Die Bauverwalter können viele Arbeiten am Computer erledigen, für die sie bislang an einen bestimmten Ort gehen mussten. Das spart Zeit und Geld." Auch Projekte wie die "Verkehrsbeobachtende Beleuchtung" der Gemeinde Urdorf könnten in diesem Zusammenhang wegweisend sein und für unsere Bürgerinnen und Bürger überaus angenehme Effekte erzielen, ganz zu schweigen von ihrem phänomenalen Energiesparpotenzial. Die Grundidee: Die Leuchtkraft der Strassenlampen wird durch die Verkehrsmenge sanft und mittelfristig gesteuert und nicht durch einzelne durchfahrende Autos kurzfristig und nervös. Optische Sensoren an den Kandelabern messen den Verkehrsfluss, ein zentraler Rechner bestimmt die optimale Lichtmenge und übermittelt die Befehle per Funk einzeln an jede Lampe. Die Beleuchtung wird so fliessend und kaum wahrnehmbar zwischen 40 und 100 Prozent auf- und zurückgedimmt. Die Fussgängerstreifen werden getrennt von den übrigen Strassenabschnitten voll beleuchtet. Eine äusserst kluge Sache.
Auch die Bunderegierung befasst sich mit der Digitalisierung, auch wenn viele Skeptiker bemängeln, dass man in der Schweiz bereits etwas den Anschluss verloren haben könnte: Das E-Government Projekt des Bundes hat Bereiche definiert, die in den nächsten Jahren vom Bund systematisch verfolgt und umgesetzt werden sollen. Eines davon ist das E-Voting, das bis Ende 2019 von 2/3 aller Kantone umgesetzt sein soll. Auch bei diesem Projekt spielen Datensicherheit und elektronische Identifikation selbstverständlich eine zentrale Rolle. Wir werden sehen, ob man dieses Ziel bis Ende 2019 erreicht.
Konrad Walser, Professor für Wirtschaftsinformatik und E-Government an der Berner Fachhochschule, arbeitet mit seiner Arbeitsgruppe "Front Office von eCH" an einer Lösung, die für Gemeinden wie
Rüschlikon äusserst spannend sein könnte: Man organisiert die Verwaltungsdienstleistungen aus Sicht der Kunden so, dass man als Einwohner einen sogenannten "One Stop Shop" hat: "In diesem "Front Office" findet die Kommunikation mit dem Bürger statt, es wird die Triage der Kundenanliegen gemacht, und Anfragen werden an die betroffenen Back-Offices zur Abwicklung weitergegeben. Ich als Bürger kann mich dann immer an dieselbe virtuelle Stelle wenden und muss meine Geschichte nur einmal erzählen. Ein gutes Beispiel für die Einführung solcher Dienstleistungen ist der Kanton Neuenburg, wo es einen "Guichet Unique" für Leistungen aus den unterschiedlichsten Bereichen gibt wie etwa Steuern, Schulen, Strassenverkehrsamt, Baugesuche, etc. Wer sich via Internet anmeldet, bekommt zudem Dienstleistungen vorgeschlagen, die auf seine Lebenslage zugeschnitten sind." (Quelle: Interview Jan Flückiger mit Konrad Walser, NZZ 21.2.15.)
Mit unserem "Online Schalter" der Gemeinde versuchen wir uns zwar diesem System etwas anzunähern, es steckt aber natürlich noch in den Kinderschuhen.
Etwas düsterer mutet die Aussage von Kuno Schedler, Professor für Public Management an der Universität St. Gallen, zu diesem Thema an: "Die neuen Möglichkeiten erinnern uns unweigerlich an Orwells "1984", Huxleys "Brave New World" oder deren moderne Version, die "Hunger Games". In der Tat kommen wir diesen Visionen mit Riesenschritten näher, oder wir sind schon mittendrin." Auch Kuno Schedler betont aber in seinem Gastkommentar in der NZZ vom 11.1.2017, wie gross die Bedenken der Bürger zum Thema Datensicherheit sind: "Die heutigen Ansätze des Datenschutzes dürften hierbei kaum genügen, neue Massnahmen sind notwendig."
Persönlich interessiert mich diese Thematik sehr: Ich erinnere mich noch gut an die Lektüre von "Brave New World", "1984" und jüngst auch den "Hunger Games": Schon damals fanden wir die düsteren Prognosen einerseits aus der Sicht der technologischen Möglichkeiten faszinierend, andererseits aber auch im Sinne der totalen Überwachung und Kontrolle der Bürger durch den Staat absolut undenkbar. Wie schnell sich solche Prognosen allerdings verwirklichen würden, ahnten wir damals noch kaum.
Bringen wir es fertig, unsere Dienstleistungen für die Bürger im Zuge der Digitalisierung so zu gestalten, dass alle nötigen Sicherheits- und Datenschutzbedenken der Schweizerinnen und Schweizer zur Zufriedenheit beantwortet werden können? Nur dann können wir damit Erfolge erzielen und tatsächlich auch einen Beitrag zur besseren Lebensqualität leisten, und nicht nur zur Effizienzsteigerung. Oder, nach Schedler: "Warum soll nicht mein Auto die Parkgebühren automatisch bezahlen wenn ich irgendwo auf dem Parkplatz stehe? Wäre es nicht möglich, meine Steuern direkt aus den vorhandenen Daten zu errechnen und vom Einkommen abzuziehen? Kann meine Lebenssituation automatisch jene staatlichen Angebote aktivieren, die mir weiterhelfen?"
Wird dereinst die Einwohnerkontrolle der Gemeinde von einem freundlichen Roboter bedient sein? Werden Hunde-, Einkommens- oder andere Steuern und Gebühren direkt einem virtuellen Bürger-Gemeindeportfolio belastet? Fragen, mit denen sich wohl jede Gemeinde über die nächsten Jahren auseinandersetzen muss. Das Milizsystem, das die strategischen Lenker der Gemeinden lediglich mit Teilzeitpensen ausstattet, und die durch endlose Gesetzeserlässe, Verordnungen, Anweisungen und Kostensparübungen bereits überstrapazierten Verwaltungsabteilungen stehen mit diesen Projekten vor äusserst schwierigen Herausforderungen. Massgeblich über den Erfolg oder Misserfolg entscheiden dürfte hier eine sorgfältige strategische Planung aller Beteiligten, und der Miteinbezug von professionellem externen Fachwissen, sowie das vernetzte Denken und Handeln über die eigenen Gemeindegrenzen hinweg. Es wird über die nächsten Jahre zu beweisen sein, wie gut uns dies gelingt. Kuno Schedler schliesst seinen Gastbeitrag mit den folgenden Worten: "Smart Government kann eine riesige Chance sein, frühzeitig eine öffentliche Verwaltung zu gestalten, die unsere Kernanliegen weiterhin verteidigt: offene und transparente Diskurse, faire und demokratische Entscheidungsprozesse, Schutz der Freiheit und Integrität der Bürgerinnen und Bürger. Um nicht weniger geht es nämlich, wenn wir die Digitalisierung im politisch-administrativen System ernst nehmen. Gouverner, c'est prévoir".
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