Es kam alles ganz unerwartet. Oder doch nicht? Meine langjährige Stiefmutter, die sonst nur so vor Vitalität strotzte, wurde krank und musste ins Spital eingeliefert werden. Plötzlich realisierten wir, dass ihr 80ster Geburtstag kurz bevorstand und sie viel jünger gewirkt hatte, als sie es eigentlich war. Mein Vater - ein liebevoller, charmanter Tessiner Patriarch - war Zeit seines Lebens nicht in der Lage gewesen, sich selbst auch nur ein Spiegelei zuzubereiten oder die richtigen Kleider morgens aus dem Schrank zu nehmen. Oder etwa doch? Lag's nur daran, dass zuerst meine Mutter, und später meine Stiefmutter, ihm immer alles abgenommen hatten? Wir würden es in Kürze erfahren...
Zum Zeitpunkt des Spitaleintritts meiner Stiefmutter war jedoch mein Vater bereits knapp 90 Jahre alt, auch wenn man dies bei seinem jugendlich wirkenden Auftreten kaum vermutete. Zu spät wohl, um seine Gewohnheiten zu verändern, ganz abgesehen davon, dass sich bei ihm auch bereits eine leichte Demenz bemerkbar machte. Auch um die korrekte Dosierung seiner täglichen Insulinspritzen hatte sich immer seine Frau gekümmert... Wir versuchten unser Bestes - zum Glück waren wir zu Dritt - oder sogar zu Viert, da unsere Stiefschwester sich ebenso stark engagierte wie wir selbst. Ein paar Tage oder Wochen funktionierte es sogar einigermassen; wir teilten die Zeit und Aufgaben irgendwie untereinander auf und taten, was wir konnten. Irgendwann kam dann auch unsere Stiefmutter wieder aus dem Spital, war aber natürlich viel zu schwach, um ihre gewohnte fürsorgerische Arbeit wieder aufzunehmen. Und so nahm das Unglück seinen Lauf...
Es folgte eine furchtbare Zeit der Hilflosigkeit (von uns allen), der Auseinandersetzungen und Diskussionen mit Banken (niemand von uns besass eine Vollmacht), Krankenkassen (dasselbe Problem), Spitex, Spitälern, Koordinationsstellen für Alters- und Pflegeheime, der Wohnungsvermieterin, den Ärzten sowie dem Amt für Ergänzungsleistungen (wir fanden schnell heraus, dass das Geld für einen Eintritt ins Pflegeheim, wie übrigens bei nahezu 40-50% aller Personen in der Schweiz) nicht ausreichen würde. Immer wieder fragte ich mich, weshalb genau mir das nun passieren konnte: Wusste ich doch berufsbedingt, wie so etwas ablaufen sollte, und welche Massnahmen man zu einem frühen Zeitpunkt bereits treffen konnte, um genau diese Probleme proaktiv zu vermeiden. Schon vor Monaten hatte ich beide gebeten, sich Gedanken zur Patientenverfügung und zum Vorsorgeauftrag zu machen, nach ihrem Abwinken aber nicht mehr insistiert. Ich ärgerte mich fürchterlich über mich selbst: Zwischen dem Jonglieren unserer verschiedenen Jobs, den Familien und dem Haushalt nun noch all diese Ämterbesuche und stundenlangen Recherchearbeiten und Botengänge unterzubringen, brachte uns an die Grenze des Machbaren. Zum Glück wusste ich wenigstens, was uns erwartete, und Bescheid darüber, wie wir alles einfädeln mussten - schon diese Dinge können einen nämlich in einer solchen Situation komplett überfordern.
Wer von uns übernahm die Pflegeheimsuche? Wer die tägliche Betreuung der beiden? Wer die laufenden Zahlungen, die Abklärungen mit der Spitex, die nun plötzlich für beide täglich zweimal kommen musste? War es überhaupt richtig, sie aus ihrer gewohnten Umgebung zu reissen und in ein Pflegheim zu bringen? Sie selbst waren mit der Situation komplett überfordert, so dass sie mehr oder weniger alles uns überliessen. Zum Glück konnten wir zu Viert immer wieder sachlich über alles reden und fanden zu jeder Zeit die notwendigen Kompromisse. Das ist bestimmt keine Selbstverständlichkeit. Auch waren erbtechnische Überlegungen für unsere Entscheide nicht massgebend, wussten wir doch, dass kein Geld zum Verteilen übrig bleiben würde. Nachträglich gesehen hat das wohl einiges vereinfacht.
Unsere Kinder sprangen -zwischen Schule, Studium und Arbeit - immer wieder hilfreich ein, die ganze Sache verstärkte eigentlich unseren familiären Zusammenhalt höchstens noch - auch das nicht unbedingt üblich. Nachdem die Wohnungsräumung dann endlich durch war, und wir für die beiden einen schönen Platz in einem Doppelzimmer eines neuen Pflegeheims gefunden hatten, atmeten wir zum ersten Mal wieder durch - auch wenn noch viele Fragen, zum Beispiel die Höhe der Ergänzungsleistungen, offen waren, und es meiner Stiefmutter leider nach wie vor sehr schlecht ging.
Irgendwann war es dann soweit: Sie musste ihren Kampf aufgeben und verstarb im Triemlispital. Mein Vater kam mit dieser Situation erwartungsgemäss nicht zurecht, er verfiel in eine tiefe Depression, und wir waren beinahe froh für ihn, dass er sieben Wochen nach seiner geliebten Frau dann auch still und leise im Schlaf gehen durfte.
Für uns alle war das eine grässliche Zeit, die aber doch auch Gutes mit sich zog: Der Zusammenhalt zwischen Geschwistern und Kindern wurde grösser, und vermutlich haben wir in der Zwischenzeit alle unsere Dokumente in Ordnung gebracht: Mein Mann und ich haben eine Patientenverfügung sowie einen Vorsorgeauftrag erstellt, der die meisten Dinge klar regelt. Ausserdem haben wir viel geredet während dieser Zeit, über unsere Vorstellungen zu Leben und Tod, und auch darüber, was wir unseren Kindern schuldig sind und was nicht. Zum Glück haben wir davon ähnliche Vorstellungen: Wir finden zwar, dass es fair ist, soviel wie möglich zu regeln, mittels den notwendigen Dokumenten. Am besten ist es wohl auch, wenn man ab und zu die Kellerräume und Estriche etwas von Ballast befreit - die Räumung der Wohnung unserer Eltern bereitete uns ziemlich viel Aufwand. Finanzen sollten soweit es geht in Ordnung sein, alles möglichst gut dokumentiert, und jemand sollte die notwendigen Vollmachten besitzen bei Banken, Krankenkassen, etc. Die KESB bietet wertvolle Informationen zum Thema Vorsorgeauftrag. Mehr darüber erfahren Sie an der Infoveranstaltung vom 11. November um 10 Uhr im Hotel Belvoir.
Und das Erbe? Wie gesagt, war das bei uns kein Thema. Darüber bin ich meinem Vater auch nicht böse. Ich bin der Meinung, dass man zwar für seine Kinder sorgen soll und muss, bis sie alt genug sind, dies selbst zu tun, und ihnen die entsprechende gute Ausbildung ermöglichen soll. In der Schweiz sind wir ja in der glücklichen Lage, dass dies meist ohne grosse Zusatzinvestitionen möglich ist. Danach sind sie auf sich selbst gestellt, und wir leben unser Leben so, wie wir das für gut empfinden - natürlich auch so, dass die finanziellen Mittel möglichst auch im Alter noch reichen. Wenn danach etwas übrig bleibt zum Verteilen, umso besser - wenn nicht, finden wir das auch in Ordnung. Im besten Fall fällt man auch dann dem Staat nicht zur Last, wenn man in ein Pflegeheim einziehen muss. Bloss ist das leider für viele von uns nicht realistisch: Ein Platz in einem neuen Pflegeheim kostet für einen Bewohner um die Fr. 250.- pro Tag, davon sind die Krankenkassen- und Gemeindebeiträge schon abgezogen. Für immer mehr Menschen ist dies unerschwinglich, deshalb springen hier die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV ein - natürlich erst, wenn ein entsprechender Vermögensverzehr bereits stattgefunden hat. Die Aussicht auf ein grosses Erbe ist demnach bei vielen Menschen nicht mehr ganz so realistisch: Das Vermögen muss bis auf einen gewissen Betrag verzehrt, Häuser allenfalls veräussert werden. die nationalrätliche Sozialkommission berät derzeit, ob es sinnvoll ist, Personen mit Ergänzungsleistungen die Wohnimmobilien vorerst behalten zu lassen, weil sie damit allenfalls günstiger wohnen als in einer Mietwohnung. Allerdings wird auch in diesem Fall der Staat nach dem Tod auf diese Vermögenswerte zurückgreifen. Ist das fair? In meinen Augen schon - irgendwie empfinde ich es nicht als fair, wenn der Staat unterstützen muss, damit die Erben danach erben können. Hier scheinen die Meinungen aber ziemlich weit auseinander zu gehen. Hier nochmals meine kurze Checkliste, was zu tun ist, um dem Nachwuchs keine zusätzlichen Probleme zu bescheren bei einem Krankheits- oder Todesfall. Besuchen Sie unbedingt die Infoveranstaltung der KESB vom 11. November im Hotel Belvoir zum Vorsorgeauftrag!
-Frühzeitig einer im Vorsorgeauftrag genannten Person Vollmachten auf Bankkonti und Versicherungs- und Krankenkassenpolicen erteilen
- Patientenverfügung aufsetzen (dazu gibt es im Internet viele nützlichen Vorlagen, z.B. diejenige der FMH
- Vorsorgeauftrag aufsetzen
- Wohnung und Nebenräume regelmässig entrümpeln
- Allenfalls Testament verfassen / Nachlass regeln
- Allenfalls Antrag für Ergänzungsleistungen stellen oder unverbindliches Gespräch suchen beim Amt für Ergänzungsleistungen der Wohngemeinde
- Allenfalls frühzeitig eine barrierefreie Wohnung mit Dienstleistungsangebot und Spitex suchen und beziehen (in Rüschlikon Alterswohnungen "Im Weingarten", Bezug geplant Frühjahr 2019, Warteliste durch Stiftung Wohnungsbau Rüschlikon).
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